Pietro Buonaccorsi, besser bekannt als Perino del Vaga, war einer der talentiertesten Schüler Raffaels (1483–1520), obwohl seine reifen Arbeiten beinahe ebenso viel Bewunderung für Michelangelo (1475–1564) erkennen lassen. Perino, dem in Vasaris „Vite“ (1550 und 1568) eine ungewöhnlich umfangreiche und gut informierte Biografie zuteilwird, stammte ursprünglich aus Florenz, gehört jedoch zweifellos der römischen Schule an. Wie die meisten Künstler seiner Generation, die in der ewigen Stadt tätig waren, wurde auch seine Karriere durch den Sacco di Roma, die Plünderung Roms im Jahr 1527, jäh unterbrochen. In der Folge fand er in Genua eine Anstellung als Hofkünstler des großen Admirals Andrea Doria, war jedoch auch in Pisa tätig, ehe er gegen Ende seines Lebens wieder nach Rom zurückkehrte.
Viele von Perinos größten Errungenschaften wurden in Form von Fresken ausgeführt, sei es nun für Kirchen oder private Paläste, und nur eine Handvoll von Staffeleibildern aus seiner Hand ist überliefert, obwohl er auch ein außergewöhnlich talentierter und produktiver Zeichner war. Die vorliegende „Heilige Familie“, deren Gesichtstypen und das beinahe schon klaustrophobische Gefühl von Intimität sowohl direkt von Raffaels spätem Stil als auch im Besonderen von Arbeiten wie seiner „Madonna della Rosa“ (um 1516/17, Museo del Prado) inspiriert sind, gehört zweifellos zu Perinos Meisterwerken in diesem Genre. Interessanterweise stammen die Posen der Jungfrau Maria und des – wiewohl leicht gedrehten – Jesuskindes, jedoch aus Raffaels früherer „Aldobrandini-Madonna“ in der Londoner National Gallery, die für gewöhnlich auf 1509/10 datiert wird. Die Bedeutung dieses Werkes für Perino wird zudem in seiner zugegebenermaßen weniger getreuen, wenn auch unleugbaren Übernahme der gleichen Figuren für seine „Heilige Familie“ im Musée Condé in Chantilly deutlich. Die vorliegende Arbeit ist nicht nur in ihrer technischen Ausführung, mit der beinahe emaillierten Oberfläche, bemerkenswert raffiniert, sie vereint auch auf ausgeklügelte Art und Weise Gesichtsausdrücke von auffallender emotionaler Zurückhaltung mit körperlicher Intimität. Der Apfel, den die Gottesmutter in der linken Hand hält, verweist auf die Ursünde von Adam und Eva, die durch die Ankunft Christi und sein Opfer am Kreuz zurückgenommen werden sollte.
- Material/Technik
- Öl auf Pappelholz
- Masse
- 84,8 cm Dm.
- Erwerb
- erworben 1822 durch Fürst Johann I. von Liechtenstein
- Künstler/Beteiligte
- Perino del Vaga
- Inventarnummer
- GE 24
- Signatur/Bezeichnung
- Siegel: rückseitig 3 Siegel, mit denen der Zettel der Galerie Bovio, Bologna, befestigt ist
- Provenienz
- vor 1822 Sammlung Bovio in Bologna, erworben 1822 durch Fürst Johann I. von Liechtenstein vom Wiener Händler Carlo Gamora
- Ikonografie
- Heilige Familie
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