
Limoges erfreute sich als Zentrum der Herstellung von Emaille zweier goldener Zeitalter. Die erste Hochblüte fand im Mittelalter statt – etwa ab dem 12. Jahrhundert bis 1370, dem Jahr, als die Stadt von Edward, dem Schwarzen Prinzen geplündert wurde, was de facto deren Untergang bedeutete. Zu einer zweiten Hochblüte kam es im 16. Jahrhundert. Obwohl diese späteren Emaillen häufig Teller, Krüge und andere zumindest potenziell funktionelle Objekte zierten, waren sie fast ausnahmslos äquivalent zu Bildern. Einige davon – wie die vorliegende Serie rechteckiger Tafeln – haben keinen vordergründig funktionalen Zweck sondern sind rein dekorativ.
Wie die „maiolica istoriata“ (narrative Majolika), die etwa um die gleiche Zeit in Italien entstand, beruhte auch die Limoges-Emaillen des 16. Jahrhunderts nicht selten auf gedruckten Quellen, sei es nun für gesamte Kompositionen oder einzelne Figuren. Die meisten der Arbeiten sind schwarzweiß, wodurch sie nur noch enger mit der Welt der Druckgrafik in Verbindung gebracht werden können, einige sind – wie hier – jedoch auch in prachtvollen Farben gehalten. Es überrascht deshalb nicht, dass sechs Exemplare aus der vorliegenden Gruppe direkt von Radierungen Jean Mignons nach Zeichnungen im Louvre von Luca Penni stammen, einem italienischen Mitarbeiter von Giulio Romano, der um 1530 nach Frankreich zog. Die siebente und letzte Darstellung ist eine Adaption eines Freskos von Rosso Fiorentino in der Galerie François Premier in Fontainebleau. Während dessen Motiv relativ unklar ist, jedoch nicht Teil der Geschichte um Troja, soll Courteys letzte Szene offensichtlich die Flucht von Aeneas mit seinem Vater Anchises aus Troja darstellen. Doch lässt sich die Szenen nicht ungehindert eingliedern aufgrund der Einbeziehung einer von einem zweiten Mann getragenen Frau und des Fehlens von Aeneas‘ Sohn Ascanius,. Die ersten sechs Tafeln können wohl betrachtet werden als „Das Urteil des Paris“ (SK 220), „Der Raub der Helena“ (SK 221), „Der Kampf vor den Mauern Trojas“ (SK 222), „Kassandra verhindert die Ermordung des Paris durch Deiphobos“ (SK 223), „Das Trojanische Pferd wird in die Stadt gezogen“ (SK 224) und „Die Einnahme Trojas“ (SK 225) – in diesem Kontext mach der Abschluss der Reihe durch „Die Flucht des Aeneas aus dem brennenden Troja“ (SK 226) durchaus Sinn.
Über Pierre Courteys ist so gut wie nichts bekannt, doch könnte er ein Schüler oder Mitarbeiter von Pierre Reymond gewesen sein. Fest steht, dass er ein Favorit des Königs war, führte er doch zumindest zwölf große Reliefs, jedes annähernd an die 1,7 Meter hoch, für das Château de Madrid aus (neun befinden sich heute im Musée de Cluny, die anderen drei in Großbritannien), sowie sechzehn von Dürer inspirierte Tafeln, die in einen prachtvollen Altar für das Château d’Ecouen integriert wurden (heute im Louvre, Paris). Es ist durchaus denkbar, dass es sich auch bei den vorliegenden Tafeln um einen weiteren königlichen Auftrag handelte, zumal die französischen Könige ihre legendäre Abstammung auf Aeneas zurückführten – eine Verbindung, die zu jener Zeit viel gerühmt wurde. So etwa in Pierre Ronsards Epos „Franciade“, das er in den 1540er-Jahren zu schreiben begann, dessen erste vier Bücher jedoch erst 1572 veröffentlicht wurden. Wie beliebt diese Motive waren, belegt die Existenz einer wesentlich umfangreicheren und bedeutend früheren, auf der „Aeneis“ basierenden Reihe polychromer Emailletafeln eines unbekannten Urhebers.
- Material/Technik
- Email auf Kupfer
- Masse
- 42 × 54 cm
- Erwerb
- erworben durch Fürst Joseph Wenzel I. von Liechtenstein
- Künstler/Beteiligte
- Pierre Courteys
- Inventarnummer
- SK 226
- Signatur/Bezeichnung
- sign. unten links in Gold: .P.COURTEYS.
- Provenienz
- erworben durch Fürst Joseph Wenzel I. von Liechtenstein vermutlich während seines Parisaufenthaltes 1738/40
- Entstehungsort
- Limoges
- Ikonografie
- Flucht des Aeneas aus Troja
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