
Bernardo Bellotto war der Neffe und Schüler von Giovanni Antonio Canal, genannt Canaletto (1697–1768). Gleich seinem Onkel war er fast ausschließlich auf die Fertigung dessen spezialisiert, was im Italienischen als „vedute“ bezeichnet wird. Der Begriff bedeutet wortwörtlich „Ansichten“, doch zeigten diese niemals reine Landschaften, sondern boten stets architektonische Perspektiven, seien es einzelne Gebäude oder Stadtlandschaften. Bellotto verließ Venedig in jungen Jahren und verbrachte einige Zeit in und um Mailand, bevor er sich auf den Weg nach Dresden machte. Dort war er ein Jahrzehnt lang für Augustus III. und Graf Heinrich von Brühl tätig, für den er großformatige Ansichten der kurfürstlich sächsischen Hauptstadt sowie von Pirna schuf, von denen sich zwei Versionen in den Fürstlichen Sammlungen befinden (GE2503 und GE2581). Zu Beginn des Siebenjährigen Krieges reiste Bellotto weiter nach Wien, wo er sich 1759/60 aufhielt, ehe er die letzten Jahre seiner Karriere am Hof von König Stanislaus Poniatowski von Polen in Warschau verbrachte.
Während seiner Zeit in Wien schuf Bellotto nicht weniger als dreißig Gemälde für Kaiserin Maria Theresia, ein weiteres für ihren Kanzler Graf Kaunitz sowie das vorliegende Paar mit den Ansichten des Gartenpalais Liechtenstein für Fürst Joseph Wenzel I. von Liechtenstein. Das Motiv beider Gemälde ist das Gartenpalais, das nach dem Entwurf des Luccheser Architekten Domenico Martinelli zwischen 1692 und 1706 als Gegenstück zum nahe gelegenen Stadtpalais entstanden war. Bellotto entschloss sich ganz bewusst, die Gartenseite des Palais anstatt der formelleren Hauptfassade zu zeigen, auch die gewählten Blickwinkel sind alles andere als konventionell.
Zwar ist das Palais auf dem Gemälde der Ansicht vom sogenannten Belvedere (GE889) frontal wiedergegeben, wird jedoch ein wenig dezentriert gezeigt, während der Vordergrund von einer großen geschwungenen Treppe dominiert wird. Am rechten Bildrand steht eine modisch gekleidete aristokratische Figur, deren Identifizierung als Fürst Joseph Wenzel plausibel erscheint. Die Sonne scheint hell auf das Parterre, die Statuen und das Palais, die Schatten sind jedoch – typisch für Bellotto – auffallend schwarz wiedergegeben.
Das Gegenstück zu dieser Ansicht ist in seiner Anordnung wohl noch kühner (GE887). Auch hier finden sich auf der Terrasse im Vordergrund Figuren – eine sitzende Dame und ihre Dienerin, in Begleitung eines jungen Mannes und einem schwarzen Spaniel. Hier sind die Dargestellten nicht so einfach zu identifizieren, obwohl es sich bei der in Rosa eingekleideten Dame um die Fürstin handeln könnte. Der Blick wird entlang der mit zahlreichen Sandsteinfiguren besetzte Balustrade geleitet, und weiter über das neu gegründete Viertel Lichtental mit seiner Kirche hinweg bis hin zum Gipfel des Kahlenbergs. Von dort waren 1683 die Entsatztruppen unter Jan Sobieski gekommen, die das osmanische Heer besiegten. Im Mittelgrund links ist das von Johann Bernhard Fischer von Erlach entworfene Belvedere zu erkennen, das der Ansicht des Kahlenbergs ein architektonisches Gegenstück bietet. Die seitliche Fassade des Gartenpalais ist in der linken Bildhälfte in stark verkürzter Perspektive zu sehen, während der Blick hinunter in den Hof eine von Pferden gezogene Kutsche mit roten Rädern zeigt. In beiden Gemälden dient Wien als Hintergrund. Einige der gezeigten Gebäude – wie der Stephansdom – sind glücklicherweise auch heute noch markante Punkte der Stadtsilhouette.
- Material/Technik
- Öl auf Leinwand
- Masse
- 100 × 159 cm
- Erwerb
- erworben 1759/60 durch Fürst Joseph Wenzel I. von Liechtenstein
- Künstler/Beteiligte
- Bernardo Bellotto
- Inventarnummer
- GE 889
- Provenienz
- erworben 1759/60 durch Fürst Joseph Wenzel I. von Liechtenstein
- Dargestellte/r Region/Ort
- Gartenpalais aussen
- Ikonografie
- Architekturdarstellung , Vedute , Gartenlandschaft
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