Der Heldentod des römischen Konsuls Decius Mus ist ein in der Antikenüberlieferung mehrfach zitiertes „exemplum virtutis“, also ein Beispiel für besonders tugendhaftes Handeln. Rubens war der erste Künstler, der den Bericht des Livius vom Krieg der Römer gegen die Latiner aus dem Jahre 340 vor Christi Geburt in das Medium der Malerei übersetzte („Ab urbe condita“, Buch VIII, Kapitel 6, 9 und 10).
Die Bewohner der Ebene von Latium hatten sich gegen die römische Vorherrschaft erhoben und forderten die Römer mit einem an Stärke überlegenen Heer zur Schlacht heraus. Im Lager bei Capua hatten die römischen Oberbefehlshaber, die Konsuln Decius Mus und Titus Manlius denselben Traum: Jenes Heer würde siegen, dessen Feldherr in der Schlacht fällt. Rubens reduziert seine Erzählung auf den Helden seiner Gemäldefolge: Im ersten Bild tritt Decius allein vor sein Heer, um von seinem Traum zu berichten. Titus Manlius bleibt bis auf das letzte Gemälde unbeachtet. Der Künstler zeigt Decius Mus auf einem Podest stehend in gebieterischer Haltung, vor ihm haben sich Standartenträger verschiedener Einheiten in entsprechend unterschiedlicher Kampfkleidung versammelt. Eine Ölskizze zu diesem Gemälde in der National Gallery of Art, Washington, zeigt, dass Rubens überlegt hatte, die profane Historie mit Anspielungen auf die antike Götterwelt zu bereichern, indem er über dem Haupt des Konsuls den Adler des Jupiter wie einen göttlichen Beschützer schweben liess. Doch in der Ausführung verzichtete er auf die mythologische Überhöhung. Im Typus der Darstellung folgte Rubens einer vor allem in der Antike gebräuchlichen Bildformel, der Adlocutio, des zu seinen Legaten und Tribunen in erhöhter Position sprechenden Feldherrn. Solche Darstellungen finden sich auf den Triumphmonumenten Roms, dem Konstantinsbogen und der Trajanssäule. Letztere diente Rubens mit einer ihrer Reliefszenen auch als direktes Vorbild. Er befürwortete das kreative Verarbeiten einer antiken Bilderfindung, betonte aber in seiner Schrift „De Imitatione Statuarum“ auch die Notwendigkeit des einfühlsamen Verständnisses für die Vorlage. Ausserdem sei es ratsam, „dass man einen einsichtigen Gebrauch von ihnen macht, der in keiner Weise den Stein merken lässt“. Bei Rubens’ Übersetzung der Reliefszene in das Medium der Malerei bleibt zwar der friesartige Charakter erhalten, doch ist die symmetrische Anordnung der Figuren im antiken Vorbild nun einer lebendigen Variation mit vielfältigen Bewegungsmotiven gewichen. Auch der offene malerische Duktus bewirkt eine zusätzliche Dynamisierung.
ZUSTAND UND RESTAURIERUNG
Die Leinwand für das Gemälde „Decius Mus deutet seinen Offizieren den Traum“ besteht aus drei vertikal zusammengenähten Gewebebahnen. Bemerkenswerterweise wurde der textile Bildträger in der Vergangenheit nicht doubliert (mit einem Stützgewebe hinterklebt). Dadurch sind wertvolle Informationen über die Herstellungsweise, die Geschichte und die Provenienz des Gemäldes erhalten geblieben. Die Malschicht dieses Gemäldes befindet sich in einem aussergewöhnlich guten Zustand. Die Malerei weist im Vergleich zu den anderen Gemälden des „Decius-Mus-Zyklus“ einen weitaus offeneren, skizzenhaften Charakter auf, ähnlich Rubens’ Herangehensweise bei Skizzen oder Modelli. Innerhalb der Bildfläche war nur eine geringe Anzahl an lockeren Malschichtbereichen und einzelne Fehlstellen zu finden. Die Darstellung wurde insgesamt von nachgedunkelten Retuschen sowie vergilbten Firnisschichten verunklärt. Nach der Abnahme von Übermalungen und Reduzierung des Firnisses gewann der Farbeindruck des Gemäldes wieder an Strahlkraft und Tiefe.
Die grösste Herausforderung während der Restaurierung stellte ein Riss von 60 Zentimeter Länge im unteren rechten Eckbereich dar. Die Länge des Risses sowie die besonders dicht gewebte Leinwand erforderten eine über mehrere Wochen andauernde Detailarbeit unter dem Stereomikroskop. Das fehlende Gewebe im Rissbereich wurde mit einzeln verklebten und miteinander verwebten Fäden ergänzt, um die mechanischen Eigenschaften der Leinwand wiederherzustellen. Alle Malschichtfehlstellen wurden gekittet und anschliessend mittels Retusche farblich integriert. Firnisschichten aus gelöstem Naturharz wurden aufgestrichen sowie aufgesprüht.
Rissschliessung mittels Einzelfadenverklebung