Zu den grossartigsten Kunstwerken der Sammlungen des Fürsten von und zu Liechtenstein zählt der „Decius-Mus-Zyklus“ von Peter Paul Rubens (1577–1640). Seit seinem Erwerb im Jahre 1693 durch Fürst Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein (1657–1712) bildet dieser achtteilige Gemäldezyklus zu Sieg und Tod des römischen Konsuls Decius Mus ein Herzstück der Fürstlichen Sammlungen.
Rubens’ monumentale Gemäldefolge gilt als erste figürliche Darstellung der Schlacht des römischen Feldherrn Decius Mus gegen die Latiner (340–338 v. Chr.). Überliefert ist dieses Exemplum eines Heldentodes und der Tugendhaftigkeit durch Titus Livius’ (59 v. Chr. – 17 n. Chr.) historische Erzählung „Ab urbe condita“. Der Zyklus ist nicht nur Rubens’ frühester Bilderzyklus, sondern ist auch sein erstes Zeugnis auf dem Gebiet der Produktion von Tapisserien. Er entsteht zeitgleich mit Rubens neu errichtetem Atelierraum neben seinem Haus in Antwerpen (erbaut 1616) und ist so eines der ersten Projekte dieser Grössenordnung, das er mit mehreren Werkstattmitarbeitern koordinierte. Ein Vertrag vom 9. November 1616 zwischen dem Kunsthändler Frans Sweerts, dem Brüsseler Weber Jan Raes dem Älteren und dem genuesischen Kaufmann Francesco Cattaneo vereinbarte die Fertigung von zwei Tapisserie-Serien über die Geschichte des Decius Mus, für die Rubens Vorlagen entwerfen sollte.
Mit einem im Jahr 1616 in Brüssel abgeschlossenen Vertrag wurde der Grundstein für die Decius-Mus-Serie gelegt. In diesem vereinbarten die Vertragsparteien die Fertigung von zwei Tapisserie-Serien mit leicht unterschiedlichen Massen, für die Rubens die Vorlagen schaffen und die abschliessende Qualitätskontrolle leisten sollte. Die drei Hauptakteure sind dabei der Händler und Humanist Frans Sweerts, die Tapisseriemanufaktur des Jan Raes und der genuesische Kaufmann Franco Cattaneo. Wer jedoch als Auftraggeber fungierte und für wen die Tapisserien bestimmt waren, ist bis heute nicht geklärt. Cattaneo starb während der Produktion der Serie und es wird vermutet, dass die Tapisserien anschliessend auf dem freien Markt verkauft wurden.
Der nächste Hinweis auf die Bilderserie stammt aus dem Jahr 1661. Ein Dokument überliefert den Kauf von fünf Gemälden des „Decius-Mus-Zyklus“ durch die Antwerpener Maler Gonzales Coques, Jan Baptist van Eyck und Jan Carl de Witte, zusätzlich zu einem, welches sie bereits besassen. Nach dem Tod der zwei anderen Miteigentümer blieben die sechs Gemälde im Besitz von van Eyck, nach dessen Tod gingen die Gemälde wiederum in den Besitz der Antwerpener Händler-Brüder Forchondt über. Sie boten diese über ihre Wiener Niederlassung als Werke des Anthonis van Dyck dem Fürsten Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein an, er erwarb sie schliesslich 1693. Im Jänner 1694 schrieb der Fürst an den Maler Franceschini, dass die Gemälde für die Familiensammlung erworben worden sind. 1705 wurde dem Gemäldezyklus ein eigener Saal im Wiener Stadtpalais eingerichtet. Im ab 1810 für die Öffentlichkeit zugänglichen Gartenpalais (Galeriegebäude) bildete Rubens’ Gemäldezyklus bis zur Schliessung 1938 den Mittelpunkt der Galerie. 1942 wurden die Gemälde an mehrere Bergungsorte ausgelagert, bis sie 1948 für eine Ausstellung nach Luzern gebracht und anschliessend im Schloss in Vaduz deponiert wurden. Nach der Renovierung des Gartenpalais in den Jahren 2000–2003 konnte der Zyklus wieder an seinen alten Platz in der Galerie zurückkehren.
ZIEL DER RESTAURIERUNG
Das umfassende Forschungs- und Restaurierungsprojekt zum „Decius-Mus-Zyklus“ erfolgt im Anschluss an die Veröffentlichung einer zweibändigen Publikation des „Corpus Rubenianum Ludwig Burchard: Subjects from History – The Decius Mus Series“, von Reinhold Baumstark und Guy Delmarcel. Für diese Publikation wurden umfangreiche Untersuchungen zur Entstehung, zu den verwendeten Materialien und Techniken sowie zur Ausführung des Zyklus vorgenommen, die nun die Basis für das derzeit laufende Restaurierungsprojekt bilden, mit dem im Mai 2022 begonnen worden ist und das 2027 abgeschlossen sein wird.
Im Fokus des aktuellen Projektes stehen die Verbesserung des Erscheinungsbildes, der Erhalt und die weiterführende Erschliessung dieses einzigartigen Kunstwerkes. Die Untersuchungen sollen zu einem besseren Verständnis des künstlerischen Entstehungsprozesses der Gemälde sowie der Tapisserien führen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse über den Erhaltungszustand der Bilder bestimmen das Massnahmenkonzept der Restaurierung. Mechanische Schäden an den textilen Bildträgern (Risse, Löcher, Deformationen) und fragile Malschichtbereiche erfordern für den Erhalt notwendige Konservierungsmassnahmen. Diese sind Voraussetzung für die Restaurierung der Malschichtoberflächen der Gemälde, deren optische Erscheinung durch verfärbte Retuschen und vergilbte Firnisschichten beeinträchtigt ist. Angesichts der deutlichen Unterschiede in Bezug auf die verwendeten Materialien, Techniken und Herangehensweisen innerhalb der Gemäldeserie bildet die Berücksichtigung des Zyklus als eine ineinandergreifende visuelle Erzählung einen ebenso wichtigen, wie herausfordernden Aspekt für die restauratorische Behandlung.