
Carlo Maratti (1625–1713), Porträt des Gasparo Marcaccioni (1620–1647), um 1672/74
Carlo Maratti in den Fürstlichen Sammlungen
Das Porträt des Gasparo Marcaccioni
Die Fürstlichen Sammlungen beherbergen zahlreiche Porträts von Familienmitgliedern oder bekannten Personen. Immer wieder stösst man allerdings auf anonyme Dargestellte und unbekannte Urheber, auf unklare Erwerbsumstände oder nicht nachvollziehbare Gründe für ihr Vorhandensein in liechtensteinischem Familienbesitz. Das „Porträt des Gasparo Marcaccioni“ ist eines von diesen.
Lange waren weder der Maler noch der Porträtierte bekannt, obwohl es sich seit Generationen im Besitz der Fürsten befindet. Der erste gedruckte Galeriekatalog der Sammlungen von Vincenzio Fanti aus dem Jahr 1767 enthält dessen erste schriftliche Nennung unter der Nummer 282. Dort ist es als „Porträt eines Mannes, der ein Dokument mit einem darauf gezeichneten Plan ausrollt“ geführt und Erasmus Quellinus zugeschrieben, der in Antwerpen auch als Mitarbeiter von Peter Paul Rubens tätig war und als besonders gebildeter „Pictor doctus“ galt.

Obwohl diese Autorschaft des Gemäldes in der Forschung immer wieder angezweifelt wurde – zuletzt vermutete man einen neapolitanischen Meister als Urheber – blieb das in der historischen Kartei als „Hüftbildnis eines Mannes mit einem Plan“ betitelte Werk bis in die jüngste Zeit Quellinus zugeschrieben, während der Dargestellte aufgrund der mit Ziffern versehenen Zeichnung als Mathematiker gedeutet wurde. Tatsächlich aber weisen Zeichnung und Inschrift auf dem ausgerollten Dokument „(NV)MERIS NATVRA GVBERNAT“ diesen eindeutig als Gasparo Marcaccioni aus. In der für die Kunstgeschichte wichtigen Quelle „Le vite de' pittori, scultori et architetti moderni“ erwähnt der Autor Giovanni Pietro Bellori eben dieses Porträt als Werk des römischen Malers Carlo Maratti. Bellori nennt es in der Biografie des Malers im Abschnitt über dessen Bildnisse und beschreibt auch die von Marcaccioni gehaltene Schriftrolle ausführlich. Auf dieser sind abgebildet „li primi tre numeri pari dall’1 al 2, dal 2 al 4, dal 4 all’8; cosí li numeri dispari dall’1 al 3, dal 3 al 9, dal 9 al 27 (die ersten drei geraden Zahlenschritte von eins bis zwei, von zwei bis vier und von vier bis acht; ebenso die ungeraden von eins bis drei, von drei bis neun und von neun bis 27). Darunter ist das Motto zu lesen: „NVMERIS NATVRA GVBERNAT”, die Natur lenkt durch Zahlen – wohl eine Anspielung auf den Beruf Marcaccionis, der als Buchhalter und Minister für Kardinal Antonio Barberini tätig war.

Eine zweite Version dieses Porträts hat sich im Besitz der Erben nach Marcaccioni (Sammlung Nappi Cancellieri) erhalten, auf der die von Bellori beschriebene Inschrift jedoch fehlt. Der genaue Zusammenhang der beiden Werke konnte noch nicht zufriedenstellend geklärt werden. In einem Aufsatz im Burlington Magazine 2012 widmete sich Xavier F. Salomon dem Porträt aus der italienischen Sammlung, seiner Provenienz und der Familiengeschichte der Marcaccioni. Über den Dargestellten selbst ist relativ wenig bekannt, jedoch ist anzunehmen, dass er den Künstler über seinen Arbeitgeber, der ein Förderer Marattis war, kannte. Transaktionen zu Aufträgen des Kardinals an den Künstler liefen über seinen Buchhalter. Auch Bellori, der wiederum ein enger Freund Marattis war, zählte zum Kreis Marcaccionis, der demnach in der römischen Kunst- und Kulturelite verkehrte.
Weshalb sich ausgerechnet ein Porträt Marcaccionis in den Fürstlichen Sammlungen befindet, erschliesst sich bisweilen noch nicht. Es muss bereits im 18. Jahrhundert in den Besitz der Fürsten von Liechtenstein gelangt sein, da in der linken Ecke das sogenannte Vormundschaftssiegel prangt. Dieses wurde 1733 auf Anordnung von Fürst Joseph Wenzel I. in seiner Rolle als Vormund des minderjährigen Fürsten Johann Nepomuk Karl I. auf die Gemälde der Majoratsgalerie aufgebracht und bildet einen wichtigen Hinweis zur Provenienz des Porträts. Da unter dem minderjährigen Regierer des Fürstenhauses wenig Kunst erworben wurde, ist anzunehmen, dass das von Maratti gemalte Porträt bereits unter dessen Vorgängern, den Fürsten Johann Adam Andreas I. oder Anton Florian I., in die Sammlung einging. Beide standen in Kontakt mit Maratti, der einer der berühmtesten und erfolgreichsten römischen Maler der Zeit war: Johann Adam Andreas I. bemühte sich, ein Historiengemälde von ihm zu erwerben. Anton Florian, der zu dieser Zeit als kaiserlicher Botschafter am Heiligen Stuhl in Rom residierte, kam dabei die Vermittlerrolle zu. Die Korrespondenz über diesen Ankauf hat sich teilweise im Fürstlichen Hausarchiv erhalten. In mehreren Briefen tauschen sich die beiden Vettern über den Auftrag und die Bezahlung Marattis aus.

Am 1. September 1691 schreibt Johann Adam Andreas ausserdem an den Bologneser Maler, Marcantonio Franceschini, den er für die Gemäldeausstattung seiner neuen Wiener Palais gewinnen konnte, bezugnehmend auf ein bestelltes Gemälde. Das Sujet soll von Franceschini selbst gewählt werden. Wohl zur Orientierung und als Entscheidungshilfe für ein zum Konzept passendes Bildthema lässt er dem Schreiben an Franceschini eine Liste mit bereits bei anderen Malern in Auftrag gegebenen Gemälden beilegen. Sie enthält den Hinweis, dass Marattis Historiengemälde bereits geordert und das Motiv bereits fixiert war: „Carlo Morati, una Persabea“. Es handelt sich um ein Gemälde mit einer Darstellung der Bathseba im Bade, das, lange als verschollen geglaubt, 2016 im Besitz des Wien Museums wiederentdeckt wurde.
Auch dieses Werk wurde von Bellori – als Auftragsarbeit für Fürst Johann Adam Andreas I. – eingehend beschrieben. 1920 schied es allerdings aus der Sammlung aus. Fürst Johann II. liess es über das Auktionshaus Glückselig verkaufen, wo es vom Möbelfabrikanten Max Schmidt erworben wurde. Als Teil der Ausstattung des Schlosses Pötzleinsdorf vermachte Schmidt es nach seinem Ableben 1935 der Stadt Wien, die es in den Bestand der Vorgängerinstitution des Wien Museums, des Historischen Museums der Stadt Wien, eingliederte.
Zu Marattis „Porträt des Gasparo Marcaccioni“ konnte bisher kein Eintrag in den fürstlichen Archivdokumenten gefunden werden und so müssen die Umstände, unter denen dieses Werk in die Fürstlichen Sammlungen gelangte, vorerst noch ungeklärt bleiben.
