Im Jahr 2023 wurde das zehnjährige Jubiläum der vollendeten Restaurierung des Stadtpalais Liechtenstein in der Bankgasse begangen. Seit April 2013 kann auch dieses in der Innenstadt gelegene Palais der Fürstenfamilie Liechtenstein im Rahmen von Führungen besichtigt werden.
Fast fünf Jahre Renovierungsarbeit nach höchsten denkmalpflegerischen Standards verhalfen dem Palais wieder zu seinem ursprünglichen Aussehen. Nach der Stabilisierung der Architektur, die aufgrund alter Kriegsschäden und damit einhergehender statischer Probleme notwendig geworden war, wurde durch den Einsatz authentischer Materialien und feinster Detailarbeit der alte Glanz des Palais wieder hergestellt. So sind heute neben den originalen aufwendig gestalteten Böden von Michael Thonet und farbenprächtigen Stuckarbeiten auch Nachwebungen einzelner Seidenbespannungen und neu erstrahlende Vergoldungen zu bewundern. Damals wie heute beeindruckende technische Raffinessen, wie das Hochziehen und Drehen der Türen des grossen Ballsaals, die dessen Funktion und Wirkung zu verändern imstande sind, wurden revitalisiert.
Die Anfänge der Bautätigkeit
In den Jahren 1686 und 1689 erwarb Dominik Andreas I. Graf von Kaunitz (1655–1705) zwei Grundstücke an der Löwelbastei. Kaunitz war in dieser Zeit kaiserlicher Gesandter in München. Nach seiner Rückkehr nach Wien 1689 konkretisierte sich das Projekt. Ein erster Entwurf für einen innerstädtischen Palastbau wurde vom kurbayerischen Hofbaumeister, Enrico Zuccalli, eingereicht, mit dem Kaunitz vermutlich bereits in München in Kontakt getreten war. Das Projekt nahm relativ deutlich Bezug auf den Palazzo Chigi-Odescalchi in Rom, den Gian Lorenzo Bernini um 1665 umgestaltet hatte und der ein wichtiger Impulsgeber für die barocke Palastgestaltung in Italien und darüber hinaus werden sollte.
Vor allem in der Gestaltung der Fassade des Stadtpalais zeigt sich der Einfluss Berninis. Die Betonung der zur ehemaligen Schenkenstrasse gerichteten Hauptfront des Gebäudes liegt auf dem Mittelrisalit des Gebäudes, der leicht vorspringt und durch die Kolossalpilaster akzentuiert ist, die die Geschosse der beiden Piani Nobili zusammenfassen. Dieses Prinzip sollte, vor allem nach den Änderungen durch den später ausführenden Architekten Domenico Martinelli, die innerstädtischen Palastbauten Wiens nachhaltig prägen.
Zuccalli folgte der Idee des Gebäudes als „isola“ um einen quadratischen Hof, die jedoch aus mangelndem Baugrund vorerst nicht geschlossen werden konnte. Die Abfolge der bedeutendsten Räume – Vestibül, Treppenhaus und Festsaal – war in diesem ersten Entwurfsstadium wahrscheinlich bereits fixiert. Erst der Erwerb von einem weiteren Grundstück an der Hinterseite des Gebäudes durch Fürst Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein (1657–1712) ermöglichte es jedoch, Zuccallis ursprüngliches Projekt durch einen seichten, verbindenden Arkadengang zu realisieren. Nach dem Abbruch der Vorgängerbauten begann Antonio Riva 1692 als Bauführer, Zuccallis Projekt umzusetzen, noch im selben Jahr übertrug Graf Kaunitz den Auftrag an Domenico Martinelli.
Die Disposition des Gebäudes war zu diesem Zeitpunkt weitestgehend festgelegt. Nichtsdestotrotz gelang es Martinelli, das Palais durch seine eigene Handschrift zu prägen. Die Erhöhung des Festsaals streckte die Zonen der beiden Geschosse und betonte dadurch den Mittelrisalit noch stärker. Zum einheitlicheren Erscheinungsbild trugen auch das Wegfallen der prägnanten Rustizierung, die Verstärkung der Gurtgesimse und das Angleichen der Sockelzone an die oberen Geschosse bei. Martinellis Architektur lebt aussen wie auch innen von klaren, an der Antike und an der Tektonik römischen Barocks inspirierten architektonischen Primärformen, die ohne jede dekorative Zutat auskommen.
Am 23. April 1694 verkaufte Kaunitz – finanzielle Schwierigkeiten wie ein längerer Aufenthalt als Diplomat in Den Haag könnten die Ursache dafür gewesen sein – den Rohbau an Fürst Johann Adam Andreas I. Mit dem Verkauf übernahm der Fürst neben allen Baumaterialien auch die Verträge mit den federführenden Künstlern. Als neuer Bauleiter wurde Gabriele de Gabrieli eingesetzt.
Mit dem Majoratshaus der Familie in der Herrengasse, nur einen Steinwurf vom neuen Bauplatz entfernt, besass die Familie Liechtenstein bereits einen angemessenen Wohnsitz im Zentrum der Stadt. Im Neubau des Stadtpalais konnte nun allerdings ab 1705 auch die Kunstsammlung, bisher auf viele Besitztümer verteilt, im zweiten Piano nobile zum ersten Mal geschlossen ein Zuhause finden. Die von Johann Adam Andreas I. dort zusammenhängend aufgestellte Kunstsammlung verblieb bis 1807 im Palais.
Um eine rasche Fertigstellung seines Stadtpalais zu garantieren, stellte der Fürst den Bau des Gartenpalais in der Rossau vorübergehend ein. Zudem beschäftigte er zum Grossteil dieselben Handwerker und Künstler in beiden Palais: Wie im Gartenpalais war auch im Stadtpalais der Beitrag von Santino Bussi ganz wesentlich, der ab 1705 für die Stuckarbeiten verantwortlich zeichnete. Für die malerische Ausstattung – hier hatte sich der Bauherr für Leinwandbilder entschieden – konnte 1697 der Venezianer Antonio Bellucci gewonnen werden. Er steuerte allegorische Deckengemälde für beide Piani nobili bei, die dann ab 1807 zum Grossteil in das Galeriegebäude in der Rossau übertragen wurden, nicht zuletzt, um dort die nicht fertiggestellte Ausstattung mit Deckengemälden zu ergänzen und abzurunden.
Das Prunktreppenhaus von Martinelli und die spätere Beteiligung Hildebrandts
Das Treppenhaus des Stadtpalais Liechtenstein bildet neben jenen im Palais Harrach und im Winterpalais des Prinzen Eugen die früheste monumentale Anlage dieser Art in der Wiener Barockarchitektur. Um diesen besonders repräsentativen Bereich entspann sich auch ein Streit zwischen Martinelli und dem Bauherrn, der für einen veritablen Skandal in der Wiener Gesellschaft sorgte. Nachdem 1699 die Steinmetzarbeiten für die Prunkstiege in Auftrag gegeben worden waren, sah sich Martinelli dazu veranlasst, sich öffentlich von der Umsetzung dieser Bauaufgabe zu distanzieren. Er protestierte sogar in eigens gedruckten Flugschriften heftig dagegen, mit der Ausführung in Verbindung gebracht zu werden. Worin genau die Ursache für diese heftige Reaktion des Architekten lag, ist leider nicht überliefert.
Mögliche Gründe reichen von Baumängeln, für die sich Martinelli nicht verantwortlich zeigen wollte, bis hin zu gestaltungstechnischen Fragen. Auch war die Ausführung der plastischen Ausstattung, für die im wesentlichen Giovanni Giuliani verantwortlich war, mit Martinellis an römischer „Grandezza“ geschulter Handschrift nicht wirklich vereinbar.
Schon ab 1697 griff schliesslich Johann Lucas von Hildebrandt in das Baugeschehen ein, dem die florale Ornamentik der Treppengeländer und das Seitenportal zum Minoritenplatz, das dem Bauherrn den direkten Zugang ins Herrenhaus und in das historische Majoratshaus der Familie ermöglichte, zugeschrieben werden. Möglich wurde der direkte Zugang zum Minoritenplatz durch den Erwerb eines Teils des hinteren Nachbargrundstücks, das ursprünglich im Besitz von Theodor Graf von Sinzendorf war.
Bis das Palais von drei Seiten ansichtig war, wie dies heute der Fall ist, sollten allerdings noch etliche Jahre vergehen. Erst mit dem Abbruch des Windischgrätz’schen Hauses und der Schaffung der Abraham-a-Sancta-Clara-Gasse um 1890 wurde der direkte Zugang zum Minoritenplatz möglich, seit dieser Zeit steht das Palais an drei Fronten frei.
Umgestaltungen im 18. und 19. Jahrhundert
Ab 1766 wurden unter der Federführung vom kaiserlichen und fürstlich liechtensteinischen Architekten Isidore Canevale das Treppenhaus mit Waffentrophäen und das erste Piano Nobile modernisiert, mit dem Ziel, für den Erbprinzen Franz Josef von Liechtenstein (1726–1781) ein standesgemässes Appartement zu schaffen Die Rechnungen belegen die Anschaffung kostbarster Seiden, Möbel und Porzellane aus Florenz und Paris. Mit der Renovierung des Palais in der Herrengasse ab 1790 wurde das Palais in der Bankgasse vorübergehend als Wohngebäude der Fürstlichen Familie aufgegeben und vermietet.
Unter Fürst Alois II. von Liechtenstein (1796–1858) wurden beide Palais der Familie in der Innenstadt schliesslich einer Machbarkeitsstudie unterzogen, um herauszufinden, welches von beiden mit möglichst geringem Aufwand in einen zeitgemässen Wohnsitz für die Familie zu verwandeln wäre. Die Wahl fiel auf das Palais in der Bankgasse, das ab 1837 unter der künstlerischen Gesamtleitung von Peter Hubert Desvignes einer umfassenden Umgestaltung im Stil des Neorokoko unterzogen wurde. Diese Phase charakterisiert die Gestaltung der Räumlichkeiten auch heute noch wesentlich und macht sie zu den ersten wichtigen Zeugen des Historismus in Wien. In Teilen – dem Treppenhaus, den Deckenspiegeln – blieb die barocke Struktur vollkommen erhalten, in anderen – etwa im Falle des Ballsaales – blieb davon durch diese Umgestaltung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nichts übrig.
Einschnitte im Zweiten Weltkrieg und Wiedereröffnung 2013
Bis 1938 wurde das Palais in der Bankgasse von der Familie bewohnt, auch wenn ein Teil davon schon 1900 für angemeldete Besucher gegen Entgelt zugänglich gemacht worden ist. Der Zweite Weltkrieg und die Jahre danach hinterliessen an dem Palais gravierende Spuren. Ein abgestürztes Kampfflugzeug zerstörte Teile des Treppenhauses und Bomben- und Granatentreffer setzten anderen Räumen wie auch der Statik des Gebäudes stark zu.
In den Nachkriegsjahren wurden Teile der Ausstattung, wie die von Peter Hubert Desvignes entworfenen prunkvollen Luster, die im Keller gelagert die Gefechte überstanden hatten, verkauft und die Räumlichkeiten als Büroräume vermietet. Eingezogene Zwischendecken und Gipswände veränderten den Eindruck der ehemaligen Prunkräume bis zur Unkenntlichkeit.
Mit der umfassenden, fast einer archäologischen Spurensuche vergleichbaren Renovierung des Gebäudes ab 2008, initiiert und finanziert durch den regierenden Fürsten Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein (geb. 1945), kam vieles der Originaldekoration wieder zum Vorschein und konnte sachgemäss bewahrt werden. Seit der Fertigstellung 2013 beherbergt das Stadtpalais Teile der Fürstlichen Sammlungen: Gemälde, Möbel, Porzellane und Kunsthandwerk des späten 18. und des 19. Jahrhunderts sind in aufsehenerregenden Period Rooms und in einer Galerie mit einer erlesenen Auswahl an Kunstwerken des Biedermeier und des Klassizismus im Rahmen von gebuchten Führungen für die Öffentlichkeit zugänglich.
Informationen zu Führungsterminen, Buchungen und den Fürstlichen Palais als Veranstaltungsorte finden Sie auf der Website der Palais Liechtenstein.