DIE FAMILIE LIECHTENSTEIN: EINES DER ÄLTESTEN ADELSHÄUSER EUROPAS
Das Fürstenhaus Liechtenstein zählt zu den ältesten noch bestehenden Adelshäusern Europas. Zwischen 1120 und 1143 wird mit Hugo von Liechtenstein erstmals ein Träger dieses Namens urkundlich erwähnt. Er nannte sich nach der Burg Liechtenstein in Niederösterreich südlich von Wien, die sich seit 1807 wieder im Besitz der Familie befindet.
Heinrich I. (1233–1266) erhielt 1249 Feste und Dorf Nikolsburg (Mikulov) in Südmähren als freies Eigentum und damit als ersten Besitz der Liechtenstein im Herrschaftsbereich der Böhmischen Krone. Nikolsburg war in den folgenden Jahrhunderten stets von grosser politischer und wirtschaftlicher Bedeutung und bildete bis zu seinem Verkauf 1560 gemeinsam mit Eisgrub (Lednice in Südmähren, erworben 1370) und Feldsberg (Valtice, erworben zwischen 1389 und 1391, bis 1919 zu Niederösterreich gehörend) das Zentrum der liechtensteinischen Besitzungen.
Um 1600 waren es die drei Söhne Hartmanns II. von Liechtenstein, Karl, Maximilian und Gundaker, die eine neue Periode der Familiengeschichte einleiteten. Sie konvertierten am Höhepunkt der konfessionellen Auseinandersetzungen vom protestantischen zum katholischen Glauben. Fürst Karl I. von Liechtenstein (1569–1627) wurde unter Kaiser Rudolf II. in Prag Obersthofmeister und Vorsitzender des Geheimen Rates. Im habsburgischen Bruderzwist stellte er sich jedoch auf die Seite von Rudolfs Bruder, Erzherzog Matthias. Dieser verlieh ihm aus Dankbarkeit für diese Parteinahme am 20. Dezember 1608 als erstem Vertreter der Familie die erbliche Fürstenwürde. 1614 bzw. 1623 wurde Karl I. mit den beiden schlesischen Herzogtümern Troppau (Opava) und Jägerndorf (Krnov) belehnt, die auch heute noch im Wappen der Fürstenfamilie präsent sind.
Während des Böhmisch-Österreichischen Ständeaufstandes bezog Karl I. eindeutig Stellung für Kaiser Ferdinand II. Im Anschluss an die für die kaiserlich-katholische Partei siegreiche Schlacht am Weissen Berg 1620 wurde er mit der Festnahme und Exekution der Mitglieder und Anhänger der „rebellischen“ Regierung auf dem Altstädter Ring in Prag beauftragt, wobei der Fürst die Prozesse mit grosser Sorgfalt führte und mehrmals den Verzicht auf die Todesstrafe empfahl. Durch den Erwerb konfiszierter „Rebellengüter“ konnte Karl I. seinen Besitz wesentlich vergrössern.
Kaiser Ferdinand II. erhob 1623 auch Maximilian und Gundaker in den erblichen Fürstenstand. Die drei Brüder hatten bereits 1606 einen Familienvertrag geschlossen, der festlegte, dass der jeweils Erstgeborene der regierenden Linie das Haus nach aussen vertritt. Gleichzeitig bestimmten sie einen Teil ihres Vermögens zum Fideikommiss, also zum unveräusserlichen und unteilbaren Familienbesitz, dessen Nutzung dem jeweils Erstgeborenen zustand.
Seit der Erlangung der Reichsfürstenwürde war das Haus Liechtenstein bestrebt, ein reichsunmittelbares Territorium zu erwerben. Den Weg dazu bereitete der Enkel Karls I., Fürst Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein (1657–1712), mit dem Kauf der Herrschaften Schellenberg und Vaduz in den Jahren 1699 und 1712. Nach dem Aussterben der Linie Karls I. wurde 1712 Anton Florian I. von Liechtenstein (1656–1721), ein Nachkomme Gundakers, regierender Fürst. In seiner Regierungszeit wurden durch ein Diplom Kaiser Karls VI. vom 23. Januar 1719 Vaduz und Schellenberg vereinigt und zum Reichsfürstentum Liechtenstein erhoben.
Im gesamten 18. und 19. Jahrhundert lag Liechtenstein noch am Rande der Interessen der Familie, da sie ihre wichtigsten Residenzen im Zentralraum der Habsburgermonarchie in Wien sowie in Eisgrub und Feldsberg hatte. 1806 wurde das Fürstentum Liechtenstein als souveräner Staat, dessen Souveränität beim Wiener Kongress 1815 bestätigt wurde, in den von Napoleon geschaffenen Rheinbund aufgenommen.
Im Jahr 1938 verlegte Fürst Franz Josef II. von und zu Liechtenstein (1906–1989) seinen ständigen Wohnsitz nach Vaduz. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor die Familie durch die entschädigungslose Enteignung ihrer Besitzungen auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik einen wesentlichen Teil ihrer Ressourcen. Seit den 1970er-Jahren konnte Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein (geb. 1945) durch die Neuorganisation der fürstlichen Betriebe und des Familienvermögens eine solide wirtschaftliche Grundlage für alle künftigen Aktivitäten schaffen, die auch die Erhaltung und Pflege, Zugänglichmachung sowie den Ausbau der Fürstlichen Sammlungen mit einschliesst.
Das Fürstenhaus stellt heute das Staatsoberhaupt des Fürstentums Liechtenstein, das seit über 300 Jahren besteht. In einer weltweit einzigartigen Form der Monarchie üben Fürst und Volk gemeinsam die Staatsgewalt aus.
DIE SAMMLUNGEN DER FÜRSTEN VON LIECHTENSTEIN
Die Fürstlichen Sammlungen blicken auf eine über 600 Jahre andauernde Geschichte zurück. Jeder regierende Fürst trug durch seinen persönlichen Kunstgeschmack dazu bei, die Sammlungen zu erweitern und abzurunden. Hervorzuheben ist in der langen Reihe der Fürsten das Wirken von Fürst Karl Eusebius I. von Liechtenstein (1611–1684) und Fürst Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein, die eine Fülle von Werken der flämischen Malerei auf dem internationalen Kunstmarkt erwerben konnten. 1712 befanden sich in der Galerie von Johann Adam Andreas I. wahrscheinlich über 50 Gemälde von Peter Paul Rubens.
Von zentraler Bedeutung war die Widmung des Gartenpalais Liechtenstein als Galeriegebäude und die damit verbundene Öffnung der Sammlungen für zahlende Besucher durch Fürst Johann I. von Liechtenstein (1760–1836), die 1810 erfolgte. Der Fürst konzentrierte die wichtigsten Bestände aus dem Wiener Stadtpalais in der Bankgasse und aus anderen Schlössern im Gartenpalais in der Wiener Rossau und machte sie dort erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.
Nach dem Anschluss 1938 wurde das Gebäude für das Publikum gesperrt. Die Familie verlegte in jenem Jahr erstmals in ihrer Geschichte den Wohnsitz nach Vaduz und transferierte ihre Kunstschätze in den letzten Kriegswochen auf abenteuerlichen Wegen ebenfalls dorthin. Dadurch wurde die Hauptstadt von Liechtenstein bis zum heutigen Tag auch zum Sitz der Sammlungen des Fürsten von und zu Liechtenstein.
Schmerzliche Verluste der Sammlungen durch wirtschaftlich notwendige Verkäufe von Kunstwerken nach 1945, darunter beispielsweise das berühmte Porträt der Ginevra de’ Benci von Leonardo, heute Stolz der National Gallery in Washington, konnte der regierende Fürst, Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein, in den letzten Jahrzehnten durch eine aktive Sammlungspolitik mit bedeutenden Neuerwerbungen kompensieren und damit den Sammlungen neuen Glanz verleihen.
Am 24. März 2004 erfolgte schliesslich die Wiedereröffnung des Gartenpalais in der Rossau als LIECHTENSTEIN MUSEUM, nachdem eine Auswahl der bedeutendsten Werke aus Vaduz dorthin transferiert worden war. Damit konnte an die jahrhundertelange Tradition der Fürstlichen Sammlungen angeknüpft werden. Eine Auswahl an Meisterwerken von der Frührenaissance bis zum Barock vermittelt dem Besucher heute im Gartenpalais die Vielfalt und Opulenz einer der grössten und bedeutendsten Familiensammlungen der Welt, die stetig durch Restaurierungen und Neuankäufe erweitert und verdichtet wird.
Ein weiterer Höhepunkt der Nachkriegsgeschichte war die 2013 fertiggestellte Sanierung des fürstlichen Stadtpalais in der Bankgasse, das nach fünf Jahren aufwendigster Renovierungsarbeiten wieder seine alte Strahlkraft erhalten hat. In diesem Gebäude sind die zwischen 1837 und 1848 im Stil des Neorokoko ausgestatteten Period-Rooms, die mit Meisterwerken des Klassizismus und Biedermeier in einem spannenden Dialog stehen, für die Öffentlichkeit zugänglich.
In den Räumlichkeiten des Südtrakts wurde Raum für eine konzise Auswahl von Werken des Wiener Biedermeier geschaffen, die sich einerseits bereits in den Fürstlichen Sammlungen befanden, andererseits aber in den letzten Jahrzehnten durch Hans-Adam II. erworben werden konnten. Darunter befinden sich bedeutende Porträts, Landschaften und Genrebilder von Ferdinand Georg Waldmüller, Friedrich von Amerling, Franz Eybl oder Friedrich Gauermann, Porzellane der Wiener Produktion sowie kostbare Möbel, die einen Einblick in die Wohnkultur der Zeit vermitteln. Beide Palais in Wien können seit 2012 im Rahmen gebuchter Führungen besichtigt werden.